Seit der Veröffentlichung des Whitepapers im Jahr 2013 hat Ethereum eine bemerkenswerte Reise hinter sich, die 2014 mit dem ICO begann und Ethereum mit dem offiziellen Netzwerkstart 2015 als eine der wichtigsten Blockchain-Plattformen etablierte. Als Pionier für Smart Contracts und dezentrale Anwendungen hat Ethereum massgebliche Innovationen vorangetrieben: zum Beispiel in der Projektfinanzierung durch ICOs, in der On-Chain-Kultur durch NFTs und in der Finanzinfrastruktur durch DeFi.Der zehnte Geburtstag ist aber auch ein Moment, um über die Zukunft von Ethereum nachzudenken. Wohin führt der Weg? Welche konkreten Anwendungsfälle sind wirklich zukunftsfähig? Hat Ethereum seine Position als digitales Basisgeld endgültig an Bitcoin verloren? Und wie wirkt sich die zunehmende Konkurrenz durch alternative Layer-1-Blockchains wie Solana mittelfristig aus?Hub für die EntwicklerEthereum ist und bleibt die Blockchain mit den meisten Entwicklern. Gemäss den jüngsten Erhebungen arbeiten 2788 Vollzeit-Entwickler an Ethereum. Das sind deutlich mehr als bei Solana (664), Bitcoin (358) oder Cardano (217). Zwar ist die Zahl der monatlich aktiven Entwickler seit Sommer 2022 zurückgegangen, liegt aber immer noch auf einem vergleichsweise hohen Niveau.Im Juni 2022 zählte Ethereum monatlich über 12’000 aktive Entwickler (Voll- und Teilzeit), heute sind es nur noch knapp 9000. Auch die Zahl der monatlichen Beiträge liegt weiterhin deutlich unter dem Höchststand. Quelle: Developerreport.comNeben der Aktivität der Entwickler sticht bei Ethereum besonders die hohe Zahl an Forschern hervor. Seit 2019 ist die Zahl der Wissenschaftler, die sich mit Ethereum beschäftigen, um 1500 % gestiegen. Während die einen diese geballte Intelligenz als klaren Vorteil für Ethereum sehen, warnen andere davor, dass zu viele Köche den Brei verderben könnten. Unbestritten ist jedoch, dass Ethereum als offenes, lizenzfreies und dezentrales Netzwerk nach wie vor die meiste Brainpower auf sich vereint.Anwendungsfälle für die reale Welt?Aber entwickeln diese Entwickler auf Ethereum auch sinnvolle Anwendungen? Hierzu gibt es durchaus kritische Stimmen. DeFi-Anwendungen wie MakerDAO, Uniswap, Aave, Lido Finance und andere würden zwar mittlerweile beachtliche Volumina erreichen oder sogar regelmässige Einnahmen generieren, aber der Grossteil dieser «wirtschaftlichen» Aktivität sei immer noch stark selbstreferenziell.Einer der Kritiker, der in dieses Horn bläst, ist der wohl prominenteste Mitbegründer von Ethereum, Vitalik Buterin selbst. Er beschreibt diese Selbstreferenzialität vieler Ethereum-Anwendungsfälle als Ouroboros - ein Bild für einen Drachen, der sich in den eigenen Schwanz beisst. Er bezieht sich damit auf einen Kreislauf, in dem die Anwendungen hauptsächlich innerhalb ihres eigenen Systems agieren, ohne einen wirklichen externen Nutzen zu schaffen.Auch wenn es sicherlich Ausnahmen gibt – zum Beispiel BlackRock oder Sony - kann man sich als externer Beobachter von Ethereum auch im Jahr 2024 dem Eindruck nicht entziehen, dass der primäre Anwendungsfall vieler Ethereum-Dapps noch immer nicht darin besteht, erfolgreiche Dienstleistungen für Nicht-Krypto-Unternehmen zu erbringen. Stattdessen bedienen diese Dapps hauptsächlich Krypto-Plattformen, die sich auf den Handel, das Leihen, das Verleihen und das Hebeln von Krypto-Token konzentrieren. Dies führt zu der von Vitalik und anderen kritisierten zirkulären Spekulation ohne greifbaren Bezug zur realen Welt.Wie in einem unserer letzten Beiträge beschrieben, erwarten wir, dass sich dies mittelfristig ändern wird. Immerhin entwickelt sich Ethereum immer mehr zur Grundlageninfrastruktur für die Tokenisierung von Realwerten aller Art. Damit findet eine Integration in die bestehende Welt statt, die Ethereum und seine Anwendungen zukunftsfähig machen sollte.Die Konkurrenz schläft nichtNatürlich kämpft Ethereum nicht nur darum, eine nachhaltige Adaption in der realen Welt bei Nicht-Krypto-Unternehmen zu erreichen. Bei diesem Unterfangen konkurriert die nach wie vor grösste Plattform für Smart Contracts gerade auch mit vielen anderen Layer-1-Blockchains.Total App Capital (TAC) misst das Kapital und nicht die DeFi-Aktivität. Quelle: XDerzeit befindet sich das meiste Anwendungskapital auf Ethereum. Der Vergleich verschiedener On-Chain-Metriken zeigt jedoch, dass andere Layer-1-Blockchains in einigen Bereichen längst mit Ethereum mithalten können. Mit 3,3 Millionen täglich aktiven Adressen bei Solana und 2,1 Millionen bei Tron liegen diese beiden Blockchains weit vor Ethereum, das nur auf rund 343'000 aktive Adressen kommt. Auch beim DEX-Handelsvolumen hat Solana Ethereum bereits einige Male überholt, und bei den eingenommenen Gebühren und Einnahmen sticht Tron hervor, vor allem weil ein Grossteil der weltweiten Stablecoin-Transfers über die Tron-Blockchain abgewickelt wird.Anfang September erzielte Tron 2,1 Millionen US-Dollar an Gebühren. Ethereum nahm im Vergleich dazu 1,8 Millionen US-Dollar ein und Solana fast 600'000 US-Dollar. Quelle: ArtemisEthereum skaliert – doch zu welchem Preis?Ein Vergleich von Ethereum mit anderen Layer-1-Blockchains, der sich nur auf Ethereum fokussiert, ist eigentlich unvollständig, da Ethereum untrennbar mit einem grösseren Layer-2-Ökosystem verbunden ist. Projekte wie Arbitrum, Optimism und viele andere Layer-2-Blockchains sind fester Bestandteil der Ethereum-Roadmap und müssen daher als Teil des gesamten Ethereum-Ökosystems betrachtet werden. Wenn man diese Skalierungslösungen also zu Ethereum zählt und dann den Vergleich zu anderen Layer-Blockchains zieht, ist das gesamte Ethereum-Ökosystem natürlich um ein Vielfaches grösser.Die vielen Layer-2s haben die Skalierbarkeit von Ethereum tatsächlich erhöht. Updates wie das im März umgesetzte Dencun-Upgrade haben die Transaktionskosten in den Ethereum-Layer-2-Netzwerken erfolgreich gesenkt. In einigen Fällen wurden die Erwartungen sogar übertroffen. Die Transaktionsgebühren in den Layer-2-Netzwerken sind um den Faktor 10 oder mehr gesunken. Vor der Einführung von Dencun lagen die Gebühren in Layer-2-Blockchains typischerweise zwischen 0,10 US-Dollar und 0,30 US-Dollar pro Transaktion. Es hat sich gezeigt, dass diese Gebühren für viele Skalierungslösungen nach dem Upgrade nun unter 0,01 US-Dollar liegen.Die Verringerung der Layer-2-Transaktionsgebühren hat daher zu einer erhöhten Aktivität in diesen Netzwerken geführt. So sind sowohl die täglichen Transaktionen als auch die aktiven Nutzer stark angestiegen (siehe Abbildung 4). Insgesamt gibt es bereits 73 Layer-2-Lösungen, weitere 83 sind in der Entwicklung.90 % aller Ethereum-Transaktionen finden inzwischen auf L2-Blockchains statt. Quelle: L2beat.comDie erhöhte Skalierbarkeit durch Layer-2-Technologien hat jedoch auch ihren Tribut gefordert: Die Nachfrage nach Ether als Transaktionswährung im Ethereum-Netzwerk ist stark zurückgegangen. Dieser Nachfragerückgang hat dazu geführt, dass die Transaktionsgebühren für Ethereum gesunken sind. Und mit dem Rückgang hat auch die Menge an Ether abgenommen, die über den mit EIP-1559 eingeführten Burn-Mechanismus verbrannt wird.Der Rückgang an aktuell verbrannten Ether ist so gross, dass er die aktuell neu geschaffene Menge an Ether nicht ausgleichen kann, sodass Ethereum aktuell wieder inflationär ist. So liegt die Inflation von Ethereum auf annualisierter Basis bei rund 0,7 % und damit nur wenige Basispunkte unter der aktuellen Inflation von Bitcoin. Zwar ist diese Inflation immer noch um Grössenordnungen niedriger als jene von Layer-1-Blockchains wie Solana, Avalanche und Co. Allerdings wird man als Nicht-Staker aktuell nicht mehr über den Burn-Mechanismus entschädigt. Ethereum ist somit nicht mehr wirklich das ultrasolide Geld, wie es die Ethereum-Community noch vor einigen Jahren propagiert hat.Zurückhaltung trotz Ethereum-ETFsDie aktuelle Verschlechterung der Tokenomics, insbesondere durch die deflationäre Abwärtsentwicklung von Ether, dürfte einer der Hauptgründe dafür sein, warum einige Investoren dem Krypto-Asset kritisch gegenüberstehen und der Preis ins Stocken geraten ist. Diese Tatsache dürfte auch traditionellen Investoren nicht entgangen sein. Denn Ethereum wird immer wieder als «Tech Play» bezeichnet. Wer in Ether investiert, setzt auf die Zukunft eines dezentralen, offenen und lizenzfreien App Stores für Blockchain-Anwendungen.Dieses spannende Narrativ führt allerdings auch dazu, dass Ethereum zunehmend nach traditionellen Bewertungsmassstäben wie dem Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) beurteilt wird. Vergleicht man das KUV von Ethereum mit dem der grossen Tech-Giganten, wird deutlich, dass Ethereum derzeit überbewertet scheint. Während Ethereum ein KUV von knapp 800 aufweist, liegt das KUV von Apple bei 8,78, das von Microsoft bei 12,4 und das von Nvidia bei 33,2. Angesichts dieser Zahlen ist es nicht überraschend, dass traditionelle Investoren beim aktuellen Preis wenig Interesse an Ethereum-ETFs zeigen. Da hilft es natürlich auch nicht, dass diese keine Staking-Komponente haben.Ganz so erfolglos waren die Ethereum-ETFs bisher allerdings nicht. So gehört der iShares Ethereum Trust ETF zu den zehn erfolgreichsten ETFs des Jahres und verwaltet bereits mehr als eine Milliarde US-Dollar. Über alle Ethereum-ETFs hinweg sind die Kapitalflüsse mit einem aktuellen Nettoabfluss von 562 Millionen US-Dollar allerdings negativ, was vor allem auf die hohen Abflüsse aus dem Grayscale-Produkt (ETHE) zurückzuführen ist.Eine Übersicht zu den Ethereum-ETF-Geldströmen der vergangenen zwei Wochen (Stand 5.9.24). Quelle: FarsideWie geht es weiter?Das Wachstum, die Aufmerksamkeit und das Handelsvolumen, die Ethereum in den letzten zehn Jahren erreicht hat, sind beeindruckend. Dass ein derart komplexes System mit so vielen verschiedenen beweglichen Teilen immer wieder vor Herausforderungen steht, ist ebenso unvermeidlich.Eine Möglichkeit, wie Ether als Vermögenswert wieder attraktiver wird und gleichzeitig seine mehrschichtige Skalierbarkeit sichern kann, wäre eine engere finanzielle Verknüpfung mit seinen Layer-2-Blockchains. Die Ethereum Foundation könnte beispielsweise ein DAO-geführtes Konsortium ins Leben rufen, das sicherstellt, dass wertschöpfende Layer-2-Lösungen höhere Gebühren an das Ethereum-Netzwerk abführen. Auch der Gebührenmarkt, der Layer-2s mit Ethereum verbindet, könnte aus ökonomischer Sicht für Ether optimiert und profitabler gestaltet werden.Gerade diese Herausforderungen machen Ethereum zu einem der faszinierendsten Phänomene in der Blockchain-Welt – und zu einem Projekt, dessen Zukunft noch immer grosses Potenzial birgt. FazitEthereum blickt nach zehn Jahren auf beeindruckende Erfolge zurück. Als Pionier für Smart Contracts und DeFi hat es die Blockchain-Landschaft massgeblich geprägt. Echte Anwendungsfälle ausserhalb des Krypto-Ökosystems zu schaffen und die Stellung von Ether als Vermögenswert zu stärken, sind allerdings weiterhin Herausforderungen. Die Skalierbarkeit durch Layer-2-Lösungen ist ein Fortschritt, führt aber eben zu sinkender Nachfrage nach Ether.Dennoch, Ethereum bleibt eine der vielversprechendsten Blockchain-Plattformen, deren Zukunft noch grosse Potenziale bietet. Autor: Pascal Hügli Pascal Hügli, Crypto Investment Manager bei Maerki Baumann und Gründer von Insight DeFi, produziert hochwertige Inhalte zu Bitcoin und Krypto und trägt damit auch zur Entwicklung von Maerki Baumann im Bereich der Blockchain- und Kryptowährungen bei. Als Dozent für digitale Finanzen und Krypto-Assets an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich verfügt er über fundiertes Fachwissen auf diesem Gebiet, das er nun auch für die Etablierung unserer neuen Marke «ARCHIP by Maerki Baumann» einbringt. Wichtige rechtliche HinweiseDiese Publikation dient ausschliesslich Informations- und Marketingzwecken. Sie stellt keine Anlageberatung oder individuell-konkrete Anlageempfehlung dar. Sie ist kein Verkaufsprospekt und enthält weder eine Aufforderung noch ein Angebot oder eine Empfehlung zum Erwerb oder Verkauf von Anlageinstrumenten, Anlagedienstleistungen oder zur Vornahme sonstiger Transaktionen. Maerki Baumann & Co. 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